Aanjar
Anfahrt
Von Beirut Richtung Damaskus – Hazmiye – Alay – Richtung Zahle – Chtoura – Anjar
ca. 60 km, 1 1/2 Std. Fahrtzeit
Information
Aanjar (auch Anjar), ca. 50 km östlich von Beirut gelegen, stellt in jeder Hinsicht eine kulturhistorische Besonderheit dar. Anders als andere antike Stätten des Libanon, wo stets verschiedene Epochen und Bewohner unterschiedlichster Provenienzen ihre Spuren hinterließen, stammt Aanjar einzig aus der Zeit der Umaiyaden, der ersten Dynastie eines frühislamischen Adelsgeschlechts. Einige Chroniken und Schriften belegen, dass die Stadt zwischen 705 und 715 von Kalif Walid I erbaut wurde. Somit ist Aanjar der jüngste der vielen archäologisch bedeutsamen Orte im Libanon. Im Gegensatz zu Tyrus und Byblos, seit ihrer Gründung vor Jahrtausenden bis heute kontinuierlich bewohnt, florierte Aanjar nur wenige Jahrzehnte – bereits 744 wurde die Stadt in Kämpfen um die Kalifennachfolge zerstört.
Einzigartig ist auch die Lage Aanjars als im Inland liegendes Handelszentrum: Zur Blütezeit der Stadt kreuzten hier die wichtigen Handelswege nach Damaskus, Homs, Baalbeck und in den Süden.
Ins Auge fallend ist die ganz eigene, besondere Schönheit von Aanjar. Die zierliche Bauweise unterscheidet sich grundlegend von jenen der übrigen historischen Stätten. Mit seinen schlanken Säulen und filigranen Bögen zeichnet sich Aanjar kontrastreich vor dem wuchtigen Massiv des Anti-Libanon ab.
Nachdem 1943 Libanon seine Unabhängigkeit erlangt hatte begann die libanesische Altertumsverwaltung das Gebiet zu erforschen, unter dessen ausgedörrtem Strauchwerk und unter Teichen und Sümpfen die gänzlich verfallenen Ruinen von Aanjar verborgen lagen. Nicht so sehr die vermuteten Ruinen waren es, die die Archäologen motivierten, sondern die Tatsache, dass in der Vielzahl der eindrucksvollen Zeugen der Geschichte des Landes die Umayyaden fehlten, die von Damaskus aus ein riesiges Gebiet regiert hatten.
Nach der Säuberung und Trockenlegung des ausgedehnten Geländes wurden die immer grünen Zypressen und Eukalyptusbäume gepflanzt, die die stattlichen Ruinen wie in einem Park gelegen erscheinen lassen.
Heute ist fast das gesamte Gebiet ausgegraben, und einige Denkmäler konnten restauriert werden. Zu den bedeutendsten Ruinen, die freigelegt oder teilweise wiederhergestellt wurden, gehören der Große Palast und die Moschee im südlichen Teil des Stadt, das Wohnviertel im Südwesten, der Kleine Palast im Nordwesten sowie ein Palast und das öffentliche Bad im Nordosten.
Um sich die Ausdehnung der Stadtanlage bewusst zu machen, empfiehlt es sich, einmal um die Stadt mit ihrer Fläche von 114.000 qm zu fahren, bevor man mit der Besichtigung beginnt. Die nördliche und die südliche Stadtmauer haben jeweils eine Länge von 370 m, während die östliche und westliche auf 310 m kommen. Die 2 m dicken und ca. 7 m hohen Wälle aus Lehm und Steinen zeigen auf der Außenseite Steinblöcke von beachtlichen Ausmaßen, während die Innenseite Lagen kleinerer Steine aufweist.
Auf jeder der vier Seiten der Stadtmauer führen von der Innenseite her drei Aufgänge auf die Stadtmauer, auf der die Wachen zum Schutz der Ansiedlung patrouillierten. Vier stattliche Tore in der Mitte jeder Seite der Ummauerung schützten den Zugang zur Stadt. Jeweils zwei Tore liegen einander gegenüber und bilden den Endpunkt des Cardo Maximus, der Nord-Süd-Achse bzw. des Decumanus Maximus, der Ost-West-Achse. 40 Türme, gleichmäßig verteilt auf die einzelnen Mauerabschnitte, verstärkten die Befestigungsanlagen.
Die hundertjährige Geschichte Anjars ist trotz der Blütezeit der Stadt getränkt mit Krieg und Eroberung, weshalb ihre umayyadischen Herren Verteidigungsanlagen vermutlich als einen festen Bestandteil ihrer Architektur angesehen haben. Fast 60 Inschriften und Graffiti finden sich in der Ummauerung, von denen sich an der Westmauer zwischen dem 4. und 5 Turm vom Südwesten her befindet und als Datum das Jahr 123 der Heghira, der islamischen Zeitrechnung (=741 n. Chr.) angibt.
Der heutige Besucher tritt durch das Nordtor ein und sollte zunächst die Hauptstrasse, den 20 m breiten Cardo Maximus, zum südlichen Teil der Stadtanlage gehen, in dem sich die sehenswertesten Ruinen befinden. Geschäfte und Kolonnaden, von denen einige rekonstruiert worden sind, säumen die Strasse. Den Mittelpunkt der Stadt markiert ein Tetrastyl, d.h. ein Tetrapylon (4 durch ein Gesims verbundene Säulen) an jeder Ecke der Kreuzung des Cardo Maximus mit der anderen ostwestlich verlaufenden Haupt- und Geschäftsstraße, dem Decumanus Maximus. Dadurch wurde die Stadt in vier gleiche Teile gegliedert.
Der rekonstruierte stattliche Tetrastyl, der in seinem Sockel griechische Inschriften aufweist, und das korinthische Kapitell mit seiner charakteristischen Akanthusblätterverzierung zeigen, wie sehr sich hier die Umayyaden antiker Bauwerke bedient haben, wenn auch in sehr gekonnter Weise. Die gesamte Architektur von Aanjar verrät, dass byzantinische oder/und syrische Architekten, Handwerker und Künstler am Werk gewesen waren.
Während bei der Gliederung der Stadt in vier Stadtteile römische Lager als Vorbild dienen, weist die Baukunst des ansehnlichen Mauerwerks, bei dem sich Schichten behauener Steine mit solchen von Lehmziegeln abwechseln, auf byzantinischen Ursprung hin. Diese Technik erlaubte ein schnelles und wirtschaftliches Bauen und verringerte zudem die Wirkung von Erdbeben.
An den beiden Hauptstraßen hat man 600 Geschäfte gezählt, d.h. Aanjar muss ein bedeutendes Handelszentrum gewesen sein. Um die äußere und innere Sicherheit für eine so einwohnerreiche Stadt zu gewährleisten, war gewiss auch eine beachtliche Zahl von Truppen erforderlich. Archäologen fanden das dafür notwendige, ausgedehnte Wohnviertel südwestlich vom Tetrastyl, haben aber noch nicht die wünschenswerten Ausgrabungen vornehmen können.
Die zahlreichen, gleichmäßig verteilten Säulenbasen und die vielen herumliegenden Säulenreste gehören zu den Kolonnaden, die die Hauptstrasse auf beiden Seiten begleiteten und von denen mehrere konstruiert wurden, so dass man sich gut vorstellen kann, wie die Straßen einst ausgesehen haben.
Die Kolonnadensäulen sind keineswegs homogen – sie unterscheiden sich in ihrer Art und Größe und sind von Kapitellen verschiedener Stile gekrönt. Die meisten von ihnen sind byzantinischer Herkunft und bestätigen damit, dass sich die Umayyaden für die Errichtung Aanjars der in der Region verstreuten Ruinen bedienten.
Auf dem Weg zum Großen Palast fallen zahlreiche Steinplatten auf, die zu dem hervorragend ausgebauten System der Bewässerung und Abwasserkanäle gehören. Sie bezeugen, wie gut die Infrastruktur der Stadt geplant war.
Der Große Palast war der erste Orientierungspunkt, als Anjar entdeckt wurde. Eine Wand mit verschiedenen Arkaden der südlichen Palasthälfte wurde rekonstruiert. Wenn man in der Mitte des 40 qm großen offenen Hofes steht, kann man sich den Palast mit seinen vier hoch aufragenden Wänden gut vorstellen.
Gleich nördlich vom Palast finden sich die spärlichen Reste einer Moschee mit einer Grundfläche von 45 x 32 m. Sie hatte zwei Eingänge für die Öffentlichkeit sowie einen privaten für den Kalifen.
Die Verzierungen im Kleinen Palast sind im Vergleich zum Großen Palast feiner und komplizierter, zudem reicher an Motiven in griechisch-römischer Tradition. Da dieser Palast bisher sehr wenig restauriert worden ist, befinden sich seine Böden und Flächen noch in ihrem natürlichen Zustand.
Mit ein wenig Geduld kann man wundervolle Steingravierungen mit Darstellungen von Eulen, Adlern, Muscheln und Akanthusblättern entdecken.
Einen noch deutlicheren Beweis, dass die Umayyaden sich der Baukunst-Tradition anderer Kulturen bedient haben, bieten die Bäder 20 m nördlich des zweiten Palastes. Sie folgen der klassischen römischen Anlage mit Räumen für kaltes, warmes und heißes Wasser sowie jeweils einem Umkleide- und Ruheraum. Dessen Größe legt die Vermutung nahe, dass er nicht nur dem Wohlbefinden diente, sondern auch eine gesellschaftliche Funktion hatte.
Ein zweites, kleineres Bad von ähnlicher Anlage findet sich nahe dem Nordtor.
Hinweis
Das Ruinengelände ist täglich geöffnet. Seit 1984 stehen die Ruinen von Aanjar als Welterbe unter dem Schutz der UNESCO.
In der Nähe der Ruinen bieten Restaurants frische Forellen sowie das volle Aufgebot an libanesischen und armenischen Gerichten. Einige der Restaurants stehen direkt über Forellenteichen. In einzigartigem Ambiente kann man hier fangfrische Fische und exquisite Mezze genießen – für akustische Untermalung sorgen die Wasserkaskaden aus den Bergen sowie ein vielstimmiger Frosch-Chor.